Montag, 26. Januar 2015

Juan Avellanosa: "Kein triviales Unternehmen"

Beim ersten Treffen mit den zwei Dolmetschern, die auf meine Anfrage reagierten, und bevor die erste Stadterkundung stattfand, stellte sich heraus, dass diese sich bereits kannten. Mohamed Okasha, der Dolmetscher, der am häufigsten bei den Stadterkundungen mitgewirkt hat, ist mit einer Familie in der Herberge der Spittastraße befreundet und wir hatten an diesem gleichen Tag noch die Gelegenheit, sie zu besuchen. Ab diesem Moment hat sich nach und nach der Eindruck etabliert, zum großen Teil zum positiven Nutzen uns aller, dass ich auf eine Reise mitgenommen wurde - ich war kein abgeklärter Koordinator, noch weniger ein Lehrer, sondern ein Mitfahrer.

Alle Teilnehmer_innen sind auf entwaffnende Weise gastfreundlich gegenüber mich und den Rest des Teams gewesen, zweifellos wirkten sie viel wohltuender als man erwarten könnte, wenn man die Reaktionen, mit denen sie vor ihrer Einreise und nach Ihre Einreise in Deutschland konfrontiert waren, berücksichtigt. Es ist schwierig, einzuschätzen, ob meine Überlegungen und die des Teams bezüglich des Aufbaus von Vertrauen und das Managment der Privatsphäre bei Teilnehmer_innen die aus Kriegsgebieten entflohen sind und zum Teil Folter erlitten haben, angemessen waren oder sind. Wie dem auch sei, die Schulung des Teams in diesem Aspekt, bei profesionellen Fachkräften des Sozialarbeitsbereichs, wäre von Vorteil gewesen.

Für den Tag der offiziellen Präsentation des Projekts in der Herberge Pandechaion, war uns schon klar, dass meine ursprünglichen Ansprüche, ein Team zu bilden, das durch das Zeichnen einen Bericht der Umstände des alltäglichen Lebens in der Georg-Schwarz-Straße schafft, etwas idealisiert waren. Ich denke, dass dies immer noch möglich ist, wenn man einen größeren Pool an Kandidaten, mit der Verbreitung einer entsprechenden Anwerbeaktion, ansprechen würde. Andererseits scheinen die Qualitäten einer reduzierten Gruppe für die Entwicklung eines überschaubaren Pilotprojekts angemessen.

Es ging jetzt also darum, egal mit welchen Werkzeugen, uns an das 'Geschehen auf der Strasse' anzuknüpfen und dabei noch die Anmutung von Berichterstattern beizubehalten. Da zwei der Teilnehmer_innen Journalisten sind, erschien die zusammengesetzte Konstellation dieser ersten Ausflugsreihe für solchen Zweck vorteilhaft. Ich war sogar in der Lage, die Teilnahme eines der Asylbewerberjournalisten zu vergüten. Der andere mochte lieber malen. Ihre Frauen haben fotografiert und ihre kleinen Kinder sind die meiste Zeit im Kinderwagen geblieben.

Ich bin sehr dankbar allen Leuten gegenüber, die uns in ihre jeweilige Ortschaft geführt haben. Die Auswahl der Orte fiel in Absprache mit Daniela Nuß vom Stadtteilladen, Ina Lackert und Katja von Pandechaion und Nadine und Andreas von ADI, von den Teilnehmer_innen selbst und von mir. Wir haben, chronologisch, folgende Orte in der Georg-Schwarz-Straße und ihre nähere Umgebung besichtigt:
  • Beim ersten Ausflug waren wir auf dem Stadtteilfest Leutzsch. Trotz der etwas armseligen Atmosphäre, zum einen aufgrund des Nieselregens, hat uns Frau Fikus mit Freude und Mühe alle Stände und ihre Repräsentanten vorgestellt. Rückblickend würde ich von allen Erinnerungen, das Verblüffende unseres Tuns oder Nicht-Tuns als Merkmal hervorheben. Dies war ein experimenteller Ausflug ins Ungewisse, an einem grauen Tag, und doch haben wir uns unterhalten, wenigstens so viel wie der Rest der Besucher_innen. 
  • Beim zweiten Ausflug haben wir die ADI (Kooperationspartner des Projekts) und das Fundbüro, in dem Gebäude gleich gegenüber, besucht. Teilweise schien mir die von den vor Ort verantwortlichen Personen gegebene Beschreibung der Aktivitäten der jeweiligen Einrichtungen etwas zu abstrakt verfasst. Ich hätte mir lieber den Fokus auf das Anekdotische gewünscht, ‘was passiert da in der Tat’ lieber als ‘das ist unsere Absichtserklärung’. Die vielen Fragen der Teilnehmer:innen haben es aber etwas unterhaltsamer gemacht und die Orte sind tatsächlich interessant - vieles wird nur nicht, meiner Meinung nach, gut kommuniziert.
  • Beim dritten Ausflug haben wir eine sogenannte Streuobstwiese, vom Verein Ökolöwe gepflegt, besucht. Zu meiner Verwunderung übersetzte unser Dolmetscher mühelos und auf auf Anhieb komplexe Sachverhalte ins Arabische. Danach gingen wir zum Wollzirkel, eine Art Oase in der Georg-Schwarz-Strasse-Landschaft, wo man sich mit Handarbeiten, Geschichtenerzählen, und Abendessen unterhält - und lernt. Die Teilnehmer_innen machten sehr eifrig mit, wir erzählten ein bisschen über uns und waren uns zu diesem Zeitpunkt alle besser vertraut. Den experimentellen Charakter hinter uns lassend, hatte ich zum ersten mal den Eindruck, dass solche Ausflüge ein fester Bestandteil einer erfolgreichen Integration von neu angekommenen Asylbewerbern sein kann. 
  • Beim vierten Ausflug haben wir Helenas Galerie Artescena besucht. Während Helena in einem Kreis den Teilnehmer_innen über Soziales, Historisches und Künstlerisches, in Zusammenhang mit den Werdegängen berühmter und anonymer Leute (das Thema der Ausstellung) erzählte, musste ich mich, aufgrund unerwarteter Ereignisse, mit dem Aufhängen der Bilder beschäftigen und habe entsprechend wenig mitbekommen können. Wie es auch oft der Fall war, erhielt ich ein paar Tage später eine nette Rückmeldung der vor Ort verantwortlichen Personen, in diesem Fall Helena, mit Vorschlägen für andere Aktivitäten, die man mit den Teilnehmer_innen unternehmen könnte.
  • Der fünfte Ausflug hat noch nicht stattgefunden. Der Ort wurde von unserem Journalisten vorgeschlagen und ich bin gespannt, wo er uns hinbringt.
Da die unterschiedlichen Rollen beim Organisieren der Ausflüge leider, aber auch notwendigerweise, etwas zu verstreut zwischen dem Dolmetschen, 'Guides’ akquirieren, Termine einplanen, Material beschaffen, Inhalte sammeln, etc.. lagen, habe ich sicherlich viele Einzelheiten verpasst und meine Achtsamkeit auf einen übergeordneten 'abstrakten Ablauf' beschränkt. Deswegen möchte ich noch einmal die Bedingtheit eines subjektiven Berichts unterschreiben. Sich eine Idee zu verschaffen, wie das Projekt von den Teilnehmer_innen wahrhaftig erlebt wurde, ist kein triviales Unternehmen. Das Lernen der Sprache, insbesondere in der Wahrnehmung der Asylbewerber_innen, die sich für ein solches Projek interessieren, hat Vorrang vor jeder anderen Aktivität und spielt eine entscheidende Rolle in der Rezeption dieses Unternehmens. Ich denke, dass die parallele Erstellung von Inhalten in der Muttersprache der Teilnehmer_innen und auf Deutsch diesen Bedürfnissen auf eine Weise entgegentritt, die den vordergründigen hypothetischen Charakter eines konventionellen Deutschkurses komplementiert. Außerdem wird damit ein wertvolles Dokument geschaffen, von Nutzen für neu ankommende Asylbewerber_innen.

Die Privilegien, die man als Gast in einem fremden Haus selbstverständlich genießt, werden auf der Straße außer Kraft gesetzt. Ich denke, dass diese Umkehrung der Werte innerhalb urbaner Räume eine Spannung ist, die es auf der Straßenebene, an der vordersten Front unseres bequemen Lebens, an der Grenze zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, zu mildern gilt. Die Erfahrung der ersten Reihe Stadterkundungen hat mir gezeigt, dass wir das können.

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